Bärtiges Familienoberhaupt

Herbert wusste es. Das Leben für Männer ist nicht leicht. Auf der einen Seite müssen wir immer noch das starke Geschlecht darstellen, auf der anderen Seite erwartet man von uns emotionale Reaktionen. Diesen Spagat schafft man kaum, denn auch, was die Adduktoren angeht, sind Männer benachteiligt. Die Muskeln sorgen in unseren Oberschenkeln sehr effizient dafür, dass die Beine eben nicht seitlich weggestreckt werden, sondern sinnvollerweise nach unten ragen. Wie alle männlichen Muskeln sind auch diese Muskeln tendenziell stärker ausgeprägt und damit weniger dehnbar, als bei der Frau. Der Mann neigt zum verkürzten Muskel. Auch die männliche Beckenform begünstigt den Spagat nicht. Aber auch wenn man den genannten Spagat nicht als turnerisches Element, sondern als Sinnbild für den Versuch, zwei Dinge gleichzeitig zu schaffen, sieht, sind wir Männer benachteiligt. Zwar können wir uns auch über viele positive Dinge – allem voran der Vollbart – freuen, die mit unserem Geschlecht Hand in Hand gehen, aber hinter dem prächtigen Bart kann es schon einmal vorkommen, dass wir zweifeln. Nämlich daran zweifeln, ob wir all den Erwartungen gerecht werden können, oder nicht. Sollte es besser sein, den Herausforderungen aus dem Weg zu gehen, wäre es eine Option, die Herausforderungen zu meistern, ohne sich anzupassen, oder zwingen uns äußere Umstände dazu, situationselastisch zu reagieren?

Wann ist ein Mann ein Mann?

Auf der Erde leben 8.158.268.574 Menschen. 4.116.296.841 davon sind Männer. Wobei auch da muss man extrem aufpassen. Die Diskussion hat uns in Deutschland noch nicht ganz erreicht, aber in anderen Teilen der Welt ist schon lange Schluss mit Binär. Da darf sich jeder sein eigenes Pronomen aussuchen und andere dazu zwingen, ihn nicht als sie, sondern irgendwie anders anzusprechen. Das Geschlecht darf man sich mittlerweile auch aussuchen, muss es aber seit Dezember 2018 nicht mehr. Seitdem gibt es nämlich das dritte Geschlecht „divers“ offiziell. Wer sich also nicht entscheiden kann, oder will, der muss das auch nicht. Ich werde mir hier nicht das Barthaar verbrennen und versuchen eine Definition für Männer zu treffen. Daran sind schon größere Denker gescheitert. Ich sage dazu nur, dass jeder Bart willkommen ist. Ob er freiwillig wächst, oder eine Hormontherapie geschuldet ist, macht doch nichts. Hauptsache Bart! Aber zurück zum Thema. Ich richte mich jetzt einmal an jene Leser, die sich als CIS-Männer fühlen. Auch das ist ein Begriff, den man schnell lernen sollte, wenn man ihn noch nicht kennt. Es wird neuerdings zwischen dem Geschlecht, das der Körper hat und dem, dem man sich zugehörig fühlt, unterschieden. Stimmt beides überein, hat man also einen Bart und glaubt, dass man ein Mann ist, dann ist man ein CIS-Mann. Hat man andere, konkret weibliche Geschlechtsmerkmale, fühlt sich aber trotzdem als Mann, dann darf man natürlich trotzdem weiterlesen. Ich will das auch nicht werten, aber es ist mal wichtig, die Zielgruppe abzustecken.

Klischee und Wirklichkeit

Es wird in vielen Bereichen eine Frauenquote diskutiert. Man strebt an, dass auf der Regierungsbank gleich viele Frauen, wie Männer sitzen und misst die Verantwortlichen an dieser Quote. Das ergibt Sinn, sind Politiker doch für Frauen und Männer gleichermaßen verantwortlich und sollten beide Interessen vertreten. In anderen Unternehmen finde ich persönlich es nicht immer schlau. So sind die Frauen in der Stahlindustrie, oder am Bau sehr selten. Ein Unternehmensvorstand in einer solchen männerdominierten Branche kann auch gerne nur aus Männern bestehen. Andererseits sollten dann aber bei den Grundschullehrerinnen und anderen Berufsgruppen, die überwiegend von Frauen bekleidet werden, auch Frauen das Ruder in der Hand haben. Jetzt aber genug mit dem Gendern und der politischen Korrektheit. Was ich eigentlich ausführen möchte, ist das Rollenbild, dem wir als Männer heute entsprechen sollen. Der Zug mit den Familienernährern ist schon vor Jahrzehnten abgefahren. Die Mitbewohnerin verbringt ihre Tagesfreizeit auch nicht mehr am Herd, sondern verwirklicht sich im Berufsleben. Häufig sieht man die Väter, die die Kinder in den Kindergarten begleiten. Viel von dem, was einen Mann früher ausgemacht hat, gibt es nicht mehr. Aber trotzdem halten wir für Frauen Türen auf, tragen für sie schwere Gegenstände und tendieren dazu, Kosten zu übernehmen.

Männliche Pflichten

Es gibt sie also noch, die gesellschaftlichen Zwänge, die man uns ausreden möchte. Irgendwie passiert es, auch wenn keiner es steuert, dass Jungs sich wie Jungs benehmen und Mädchen wie Mädchen. Es gibt ganze Fernsehsender und Zeitschriften, die nur ein Geschlecht ansprechen und nicht zuletzt lesen dieses Blog wohl fast nur Männer. Ja, Männer und Frauen sind ganz unterschiedlich. Das heißt aber nicht, dass wir uns damit aus der Affäre ziehen können und Wörter, wie Frauenarbeit verwenden. Es gibt wohl Aufgaben, die Frauen leichter fallen, als Männern und umgekehrt. Jeder, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen führt, kann ein Lied davon singen. Bei allen individuellen Unterschieden, gibt es grundlegende Verhaltensweisen, die fast alle Frauen, oder fast alle Männer haben. Es ist also ganz natürlich, dass wir Männer verschiedene Aufgaben übernehmen und verschiedene Verhaltensweisen an den Tag legen. Dazu gehört es nicht, die emotionale Tragweite des Erlebten stundenlang mit anderen Männern zu diskutieren, oder mit einer Packung Schokolade und ein paar Tränen auf der Couch zu verarbeiten. Wir erleben etwas und das war es. Da gibt es nachher vielleicht ein wenig Ärger, oder Stolz, aber keine Weltuntergänge.

Gefühlskälte

Der Mann ist nicht dafür bekannt, seine Gefühle nach außen zu tragen. Er finde durchaus die richtigen Worte, aber auf den ersten Blick erkennt man nicht immer, oder er gerade feiert, oder trauert. Das liegt nicht immer am Vollbart und einem zu großen Moustache, sondern daran, dass man als Mann schon als Kind lernt, dass man seine Gefühle für sich behält. Man kann diesen Umstand als Behinderung sehen, oder als Chance. Angesichts einer drohenden Katastrophe kommt der kleine Mr. Spock in uns durch. Wir ziehen die Augenbraue hoch und während wir noch „Faszinierend“ sagen, analysieren wir die Situation und entwickeln einen Plan. Ich neige dazu, diese Eigenschaft als positiv zu bezeichnen. Menschen, die mich kennen, haben damit manchmal Probleme. Konkret wird heute nämlich oft erwartet, dass ein Mann sich weiblich verhält. Hier sehe ich eine klare Grenze, die überschritten wird. Bei einer gerechten Aufgabenverteilung bin ich noch dabei. Wenn es aber darum geht, wie die Aufgaben erledigt werden sollen, dann habe ich eine klare Meinung. Als Mann sollte man nicht versuchen, Dinge wie eine Frau zu erledigen und das sollte auch niemand erwarten. Stattdessen sollte man als Mann einen passenden Weg finden, die Dinge zu erledigen. Soweit einmal zur Einleitung.

Papa mit Bart

Jetzt gibt es aber einen Lebensbereich, den man sich als CIS-Mann mit einer CIS-Frau teilt. Die Familie ist der Bereich, in dem beide ihren Einfluss ausüben und gemeinsam an einem Strang ziehen. Der Strang ist in diesem Fall ein Kind. Ein Kind, das im Spannungsfeld der Eltern aufwächst und versucht, sich an ihnen zu orientieren. Der Vater, leicht am gepflegten Vollbart zu erkennen, lebt dem Kind eine Art Gleichgültigkeit vor. Zumindest, wenn es nach der Mutter geht. Tatsächlich ist die emotionale Nähe zu Geschehnissen ein häufiger Streitpunkt in der Beziehung. Hat der Nachwuchs sich verletzt, sagen wir der 6-jährige Sohn hat sich beim Spielen ein Knie aufgeschlagen, dann ruft das bei Mutter und Vater unterschiedliche Reaktionen hervor. Während die Mutter zitternd und blass zum Telefon greift, um die Rettungsdienste zu kontaktieren, oder wenigstens alles auffährt, was der Erste-Hilfe-Kasten hergibt, während sie dem Sohn durch Körpersprache und Worte vermittelt, dass er schwer verletzt ist, reagiert der Vater anders. Er bleibt auf der Couch sitzen, wirft einen Blick auf die präsentierte Wunde, gratuliert dem Kleinen und bittet ihn, sein Blut möglichst nicht in der Wohnung zu verteilen. Zwei Herangehensweisen, die zum selben Ergebnis führen. Aber das ist nicht das Problem.

Toleranz für das andere Geschlecht

Während der Mann überhaupt kein Problem damit hat, dass die Frau den dritten Weltkrieg ausruft, weil das Kind eine Schramme hat, hat die Frau am Ausbleiben lebensrettender Maßnahmen durch den Vater doch ihre Probleme. Das ist der Zeitpunkt, an dem mangelnde Empathie, fehlendes Problembewusstsein, Faulheit und überhaupt insgesamt alles, was es an Fehlverhalten gibt, vorgeworfen wird. Hierfür fehlt mir jedes Verständnis. Sicher hat sich der Gesetzgeber, oder sogar die Gesetzgeberin gut überlegt, die Obsorge der Kinder zu gleichen Teilen dem Vater und der Mutter zu übertragen. Es sind also zwei gleichberechtigte Partner, die beiden gleichermaßen am Kindeswohl interessiert sind. Dass es hier einem der beiden zustehen würde, die Normen zu definieren, ist nicht gesetzlich geregelt. Also wird es wohl auch Männer geben, die freiwillig wegen einer kleinen Schramme des Kindes in die Klinik fahren, nur damit der Haussegen nicht schief hängt.

Vorbildwirkung

Wir befinden uns in einem Teufelskreis, aus dem wir nur mit einer ernsthaften Übernahme von väterlichen Pflichten herauskommen werden. Nur wenn der Mann als Vater die volle Verantwortung übernimmt, mit den Kleinen häufig alleine ist und in allen Lebensbereichen Mitsprache fordert, kann man diese männliche Herangehensweise in die Kindererziehung einbringen. In unserer Generation stehen die Chancen gut, dass unsere Mutter den Großteil der Kindererziehung erledigt hat. Also wurden auch wir und unsere Partnerinnen so erzogen, dass das Zeigen von Emotionen ein wichtiger Teil ist, dass jemand, der nicht laut weint, nicht traurig sein kann und jemand, der nicht über das ganze Gesicht strahlt, sich nicht freut. Wir haben eine historische Chance. Wenn wir uns bei unseren Kindern als gleichberechtigter Vater positionieren und es zum Standard machen, dass Dinge so behandelt werden, wie wir sie behandeln würden, dann vermitteln wir das auch an unsere Kinder. Wenn wir nur hin und wieder mal etwas mit den Kindern unternehmen und uns die Partnerin dazu einen gepackten Rucksack umhängt, dann wird das nichts. Rucksack selber packen und wissen, was rein muss und was nicht, ist angesagt. Dem Kind vermitteln, dass Papa weiß, was er tut und der Erziehung die eigene Handschrift verpassen, ist der richtige Weg. So kann man schon früh damit beginnen, dem Sohn zu zeigen, wie man Konturen nachschneidet und Bartöl einsetzt und erzieht sie auch sonst zu ordentlichen potenziellen Vätern.

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