Man kann sein Leben in mehrere Abschnitte einteilen. Von der frühesten Kindheit an Mutters Brust bis zum Lebensabend auf der Parkband erleben wir so Einiges. Die Ausbildung, das Berufsleben, Liebe, Kinder und noch etliche andere Highlights gibt es im Leben. Lebensabschnitte mit mehr, oder weniger Potential für schöne Erinnerungen. Männer erleben ihr Leben allerdings in grundsätzlich zwei Phasen. Die erste Phase,die etwa 20-25% der insgesamten Lebenserwartung umfasst, verbringen wir kahl und bartlos. Ein Glück für Mamas Warzenvorhof, aber ein herber Schlag für unser typisch männliches Aussehen. Auf Fotos aus dieser Zeit sieht man aus, wie ein Kind. Anders wird das mit der Pubertät, bzw. der Asoleszenz. Es startet ein neuer Lebensabschnitt: Das Leben mit dem Vollbart!
Ein Glück
Die Zeiten des Milchgesichts sind vorbei und es folgt eine Zeit, in der wir uns für Fotos, die von uns gemacht werden, nicht mehr zu schämen brauchen. Auch wenn es immer noch Einzelne gibt, die sich für die tägliche Rasur entscheiden, so darf der Vollbart in vielen Gesichtern seinen Job erfüllen. Die Behaarung im Gesicht ist nicht etwa ein Relikt aus grauer Vorzeit und der letzte Rest eines umfassenden Körperfells. Wie auch hier hat die Evolution beharrlich in die richtige Richtung gearbeitet, bartlose aussortiert und den Bartwuchs ganz offensichtlich gezielt gefördert.
Survival of the beardiest
Darwin hat das schon korrekt erkannt. Eigenschaften, die Vorteile bringen, setzen sich im Laufe der Zeit durch. Die Vorteile des Vollbarts sind auf den ersten Blick rein optische Vorteile. Nicht, dass das schlecht wäre. Es ist schon auch ein Vorteil, dass man gut aussieht, wenn man einen gepflegten Vollbart trägt. Aber die atemberaubende Optik ist nur ein kleiner Teil eines ganzten Portfolios an klaren Vorteilen. Die Evolution musste also nicht lange nachdenken, welchem Kinn sie den Vorzug gibt. Der Vollbart hat sich durchgesetzt.
Spätberufene
Die Evolution läuft in sehr langsamen Zyklen ab. Sie ist so alt, wie das Leben selbst und hatte damit Zeit, eine tiefe Weisheit zu entwickeln. Diese Weisheit fehlt manchem Jüngling. Zusammen mit einer fehlgeleiteten Einstellung zur Gesichtbehaarung, die der rasierte Vater vermittelt, ergibt das viele junge Männer ohne Bart. Schade, aber zum Glück kein Fehler, den man nicht wieder gutmachen könnte. Im Laufe der Jahre wächst zwar kein Bart in den Gesichtern, aber die Einsicht, dass man vielleicht jeden Tag mit einem fatalen Fehler beginnt. Jeder Bart ist ein guter Bart und auch jeder Bartträger der sich zu Lebzeiten dafür entscheidet ist noch nicht zu spät dran. Es gibt also Männer, die das Erlebnis das die Evolution für die 20er geplant hätte in den 30ern, 40ern, oder sogar noch später erleben. Macht ja nichts!
Das Leben mit dem Vollbart
Ein Mann, der erst seit kurzem Vollbart trägt, wird einige Veränderungen erleben. Die Wahrnehmung der Umwelt ändert sich, manches, was ohne Bart Spaß macht kann schmerzen und die Außenwahrnehmung verändert sich. In vielen Lebensbereichen kommt es zu Veränderungen. Speziell die erste Zeit nach der Entscheidung zum Vollbart steckt also voller ersten Male und Aha-Erlebnissen. Auf der anderen Seite gibt es viel, was man über den Vollbart lernen muss. Unsere Väter haben in den meisten Fällen keinen Bart getragen. Banale Dinge, wie dass eine Bartbürste ein sehr sinnvolles Ding ist und auch ein Vollbart Pflege braucht, bleibt daher in der Früherziehung auf der Strecke. Aber keine Sorge. Du musst Dir nicht verzweifelt den Bart raufen, wenn Du ein Betroffener bist. Es gibt dieses Blog, das Dir die wichtigsten Fragen beantwortet. Alles was Du tun musst, ist es zu lesen.
Ein neuer Körperteil
Die Gesichtshaut ist bei manchen Männern ziemlich mitgenommen. Mit der täglichen Rasur werden ständig winzige Wunden in die Haut geschnitten. Bakterien fühlen sich dort wohl und freuen sich schon auf die Schnittverletzungen des nächsten Tages. Moderne Rasierer schneiden die Barthaare so kurz, dass die Spitzen unter der Haut liegen. Schmerzhafte entzundene Haare sind die Folge. Lässt man sich einen Vollbart wachsen, dann ist die Gesichtshaut in der ersten Zeit überfordert. Solange das Barthaar noch kurz ist, also etwa die ersten zwei Monate, stoßen Haarspitzen gegen gegen die Haut. Die letzte Rasur hat sie stark zerstört, also kratzen die Haarspitzen. Die strapazierte Haut reagiert darauf. Da muss man durch, kann aber mit einer ausgezeichneten und im besten Fall professionellen letzten Nassrasur bessere Voraussetzungen schaffen. Ansonsten hilft natürlich Bartöl. Die drahtigen Barthaare entwickeln aber rasch eine neue Eigenschaft, mit der man nicht gerechnet hätte. Wie Antennen melden sie Berührungen an die Gesichtshaut, die darauf noch nicht vorbereitet war.
Antennen
Die Wahrnehmung der Umwelt über den Bart ist eine überraschende Erfahrung für den bärtigen Einsteiger. Es ist uns tatsächlich nicht bewußt, dass wir auch die Berührung unserer Kopfhaare spüren. Daher erwartet man dieses Erlebnis im Bart nicht. Doch dem Barthaar ist es völlig egal, was wir erwarten und was nicht. Fasst uns jemand in den Bart, oder kommt unserem Kinn etwas zu nahe, dann wird das gemeldet. An diese neue, erweiterte Wahrnehmung der Welt muss man sich erst gewöhnen. Das geht zwar schnell, aber trotzdem gibt es etliche Dinge, die man im Bart spürt und die selbst erfahrene Bartträger überraschen können. Leichter bis heftiger Wind kann über den Bart wahrgenommen werden. Der Kragen der Jacke im Winter, der gegen den Bart drückt ist plötzlich im Fokus unseres erweiterten Tastsinns. Spannend wird es dann, wenn man das erste mal schwimmt. Ungeahnter Widerstand und eine deutliche Wahrnehmung des Wassers als Element ist ein Erlebnis, auf das Trockenrasierer leider verzichten müssen.
Die Schwerkraft
Eine weniger erfreuliche Erfahrung mit dem Vollbart ist die Überwindung der Schwerkraft. Im Rahmen der täglichen Kalorienzufuhr bedingt unsere Physiologie die Aufnahme fester Nahrung durch den Mund. Die Darreichungsformen der Kalorien variieren, aber unterm Strich muss das Futter in die dafür vorgesehene Luke. Eine dramatische Änderung durch den Vollbart ist die Tatsache, dass herabfallende Nahrungsüberschüsse auf wundersame Weise zu mehr als 130% im Bart landen. Auch wenn es bei vielen, wie bei mir, schon lange her ist, dass unser Kinn glattrasiert war – Es fällt schwer sich daran zu erinnern, dass ähnliche Mengen an Nahrung früher den Mund verfehlt hätten. Die Ursache ist aber ganz einfach zu finden.
Kollateralhappen
Die rasierte Gesichtshaut ist Kummer gewohnt. Warum also nicht beherzt ins belegte Brötchen beissen. Was nicht in den Mund passt landet eben an der Oberlippe und wird anschließen abgeleckt und mit der Serviette herauspoliert. Wer Bart trägt, der schützt ihn auch, wo es möglich ist, vor negativen Umwelteinflüssen. Dazu zählt auch Nahrung. Man bemüht sich also mit verschiedenen Techniken eine Berührung des Moustache mit dem Futter zu vermeiden. Das Resultat ist ein weniger geschickter Einsatz der Oberlippe um die Nahrung gierig zu umschließen und sicher nach hinten zu transportieren. Das Ausweichen führt zu einer Instabilität der dargereichten Nahrung, die schließlich darin endet, dass sich Fragmente lösen. Ein Umstand mit dem man umzugehen lernen muss. Die Alternative ist es, nur noch barttaugliche Nahrung aufzunehmen, oder ohne Rücksicht auf Verluste (weil die gibt es in jedem Fall) zuzubeißen, als hätte man keinen Bart. Auch kann man die Nahrungsaufnahme mancher Lebensmittel kann prinzipiell in die Badewanne verlegen.
Optik vom Feinsten
Was ebenfall der rasierte Jüngling in seinem bisherigen Leben noch nicht erfahren durfte, ist das Upgrade, das der Bart an der Optik vornimmt. Selbstverliebt könnte man vorm Spiegel sitzen und seufzen, oder mit dem Handy in der Hand eine Selfieserie nach der anderen produzieren. Man gewöhnt sich an den Anblick, aber ein Hauch von „Wow“ schießt uns immer noch durch den Kopf, wenn uns unser Spiegelbild frech zuzwinkert. Wenn schon der eigene Anblick jeden Tag den Endorphinspiegel hebt, kann man sich ausmalen, was in anderen Köpfen passiert. Aus einem angedeuteten „Wow“ wird Beethovens Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125. Geweitete Pupillen und feuchte Lippen sind daher im Gegenverkehr auf dem Bürgersteig bei beiderlei Geschlecht zu beobachten.
Keine Angst
Wer jetzt fürchtet, dass der Vollbart sein Leben verändert, der fürchtet zu Recht. Aber die Veränderungen sind jede für sich und alle in ihrer Gesamtheit ausgesprochen positiv. Sogar des sensible Umgang mit Nahrung und die Serviette, die man immer zur Hand hat, kann als Zugewinn an guten Marnieren gewertet werden. Der Vollbart verändert das Leben und das ist gut so. Wer noch keinen hat, der sollte sich jetzt einen wachsen lassen! (Anm.: Wie immer sind von diesem Aufruf Frauen und Kinder ausgenommen.)