Hogwarts ohne Bärte

Es wird nicht mehr lange dauern, dann startet wieder der Karneval. Am 11.11. um 11:11h beginnt die närrische Zeit und erlebt im Februar schließlich ihren Höhepunkt. Je nachdem, wo man lebt, oder aufgewachsen ist, fühlt man sich unterschiedlich emotional berührt. Da gibt es die Fraktion jener, die mit dem bunten Treiben wenig anfangen können. Verständnislos schütteln sie den Kopf, wenn Büttenreden und Umzüge im Fernsehen gezeigt werden. Gleichzeitig gibt es aber auch Menschen, die von Weiberfasnacht bis zum Aschermittwoch ihr Ganzkörperkostüm nicht einmal zum Schlafen ablegen. Da, wo J.K. Rowling ihr Leben verbringt, scheint der Karneval wenig Bedeutung zu haben. Hätte die gute Frau jemals einen Kostümfachhandel mit mehreren Tausend Quadratmetern Verkaufsfläche betreten, dann wäre ihr völlig klar geworden, dass jeder gute Zauberer mit einem wallenden Bart ausgestattet wird. Spitzer Hut, Zauberstab und natürlich die jahrelang gepflegte Gesichtsbehaarung sind bei der Darstellung des klassischen Zauberers obligatorisch. Auch ein knorriger Stock kann das Outfit abrunden. In den Harry Potter Romanen und den Filmen kommt der Vollbart aber deutlich zu kurz!

Highschool Musical

Wer die Filme mit Harry Potter nicht kennt, hat wohl die letzten Jahrzehnte in einer Jurte im Wald verbracht, sich mit gesparten GEZ-Gebühren und dem geld für Eintrittskarten ins Kino ein kleines Vermögen aufgebaut, oder beides. Ich gehe einmal davon aus, dass man den Plot in etwa kennt. Trotzdem rufe ich kurz in Erinnerung, dass wir in den 8 Filmen zwischen 2001 und 2011 den heranwachsenden Jungzauberer vom 11. Lebensjahr an bis zum Ende der Schulreife begleiten. Die Spin-offs, in denen der junge Dumbledore den Magiewesen-Experten Newt Scamander unterstützt, gegen den bösen Schurken Gellert Grindelwald anzutreten, sind zeitlich lange davor angesiedelt. Gerüchte um einen 8. Teil halten sich beharrlich. Außerdem plant Warner Brothers, die ganze Geschichte neu zu verfilmen. Aber so weit wollte ich gar nicht eintauchen. Stattdessen wollte ich nur darauf hinweisen, dass wir es bei vielen der dargestellten Figuren mit Kindern, oder Heranwachsenden zu tun haben. Dass die Dichte an Bärten bei dieser Gruppe niedrig ist, ist nachvollziehbar. Rechnet man diejenigen, die schlichtweg zu jung für das Tragen eines Vollbartes sind, weg, dann bleiben aber immer noch erschreckend wenige Bärte.

Weisheit, Hennen und Eier

Der Bart gilt gemeinhin als ein Zeichen für Weisheit. Zumindest, wenn er in ausreichender Länge und dem klassischen Friedhofsblond (aka Grau) ausgeführt wird. Lässt man sich auf die Erzählung ein, dann braucht es Begabung und eine lange Schulung, um gezielt mit dem Zauberstab zu wutschen und zu wedeln. In den klassischen Harry Potter Filmen gibt es die meiste Zeit über nur einen ordentlichen Bart. Den trägt der Schulleiter Albus Dumbledore. Ein sehr weiser alter Zauberer, der die ganze Geschichte steuert, in erster Reihe gegen die Bösewichte kämpft und alle bei der Stange hält. Der weise alte Zauberer ist der einzige, der unserem klassischen Bild des weisen alten Zauberers entspricht. Manche andere tragen zwar Roben und Umhänge, sind ansonsten aber eher bequem gekleidet. So wie die Handlung auf den Bart, oder die Bartpflege des Schulleiters nicht eingeht, lässt sie auch die ursächliche Wirkung unter den Tisch fallen. Wir werden nie erfahren, ob der alte Dumbledore wegen seines Bartes so weise war, oder einfach weise genug war, sich einen wachsen zu lassen. Im besten Fall trifft allerdings beides zu, was eine Art Endlosschleife der Weisheit erzeugen würde und auch die wirklich beeindruckende Dominanz der Figur in der Geschichte erklären würde.

Mangel an Bärten

Ansonsten treten im Cast lediglich zwei weitere nennenswerte Bärte in Erscheinung. So zeigt uns Rubeus Hagrid, der als Wildhüter viel Zeit in der Natur, im Wald und auf seinem fliegenden Motorrad verbringt, dass all diese Aktivitäten nicht im Widerspruch zum gepflegten Bart stehen müssen. Allerdings würde es ihm nicht schaden, beim Barbier die Konturen etwas nachzuschärfen und insgesamt die Breite geringfügig zu reduzieren. Aber auch im gezeigten Zustand ist sein Vollbart durchaus beeindruckend. Der letzte der insgesamt drei Bärte, die in Hogwarts eine Rolle spielen, gehört dem Bruder des Schulleiters. Der ältere Herr namens Aberforth tritt nach dem Tod seines Bruders in Erscheinung und hält sich ähnlich wissend im Hintergrund. Außerdem zeigt auch er einen beeindruckenden Vollbart, der zwar in der Länge nicht an Albus heranreicht, aber sehr gepflegt und geordnet erscheint. So schön der Anblick der männlichen Gesichtsbehaarung in diesen drei Fällen auch ist, so enttäuschend ist der Rest der Darsteller. Glatte, rasierte Gesichter dominieren die Leinwand. Woran kann das liegen?

Ursachenforschung

Für das Äußere der Figuren, die sich in und um Hogwarts herumtreiben, ist die Autorin verantwortlich. Wer die Bücher gelesen hat, der weiß, dass die Filme sich sehr genau an die Geschichte halten. Also ist auch Frau Rowling dafür verantwortlich, dass die Schauspieler sich ständig rasieren mussten. Einer der Gründe für diese Entscheidung könnte die Zeit sein, die sie offenbar inspiriert hat. So reisen die Schüler jedes Jahr mit einer Dampflokomotive in Hogwarts an. Auch werden Kutschen eingesetzt, Kerzen entzündet und alles deutet darauf hin, dass hier versucht wurde, eine längst vergangene Zeit darzustellen. Der Bart erlebte seit 1917 eine schwierige Zeit. King Champ Gillette erfand die Rasierklinge und den Rasierhobel und es setzte nicht nur ein Bart, sondern auch ein Barbersterben ein. Hatte die Erfolgsautorin diese Zeit, also die 1920er, oder 1930 im Hinterkopf, als sie die berühmte Zauberwelt erfunden hat, dann passen glattrasierte Gesichter leider recht gut ins Bild. Es kann aber auch sein, dass sie auch nur die 1980 und -90er-Jahre im Kopf hatte. Auch da war der Vollbart kaum verbreitet.

Freie Hände

Man könnte aber auch annehmen, dass ein Bart für einen Zauberer eher unpraktisch ist. Selbst Albus Dumbledore trägt ihn oft zu einem Zopf gebunden. Unter Umständen braucht ein Zauberer schlichtweg genug Raum für seine Hände, um magische Gesten auszuführen. Es wäre wohl fatal, wenn sich der Zauberstab im prächtigen Bart verfängt und der Fluch falsch abbiegt. Auch kann es sein, dass die präzisen Mundbewegungen, die man zum Aussprechen komplexer Zaubersprüche braucht, durch einen massiven Moustache erschwert wären. Nicht zuletzt könnte der regelmäßige Konsum von Zaubertränken auch das Bartgefühl beeinträchtigen. Wenn die teilweise fragwürdigen Zutaten in der Oberlippe hängen, trügt dies das Erscheinungsbild wahrscheinlich ungemein. Auch kann es sein, dass sich ein Magier mitunter mit hoher Geschwindigkeit bewegt. Auf dem Besen, oder mal eben beim Teleportieren und schon hängt der, vom Hartwind gequälte Bart, zerzaust über die Schultern. Am wahrscheinlichsten scheint allerdings etwas ganz anderes.

Strahlende Hauptfigur

Nun, die Titel der Bücher drehen sich zwar immer um Harry Potter, aber Albus Dumbledore ist die wichtigste Figur in der Zauberwelt. Jeder kennt ihn und respektiert ihn. Die Bösewichte messen sich, trotz Horden von ausgebildeten Zauberern, an ihm und irgendwie steuert er alle anderen Figuren. Jetzt muss man sich in die Lage der armen Autorin, oder der verzweifelten Regisseure versetzen. Da hat meine Gruppe von Schauspielern, die unterschiedliche Figuren darstellen sollen. Alle haben ihren Charakter, Ecken und Kanten und leisten ihren Beitrag zur Geschichte. Und dann gibt es die eine Figur, die alle anderen in den Schatten stellt. Ein Großmeister, zu dem alle aufblicken. Der Quell der Weisheit, der auf jede Frage eine Antwort kennt. Der eigentliche Held der Geschichte, der allen anderen Anweisungen gibt, Kontakte herstellt und Informationen platziert. Dabei hält er sich selbst aber meist im Hintergrund und lässt den anderen den Ruhm. Eine wunderbare, einzigartige Figur. Wie soll man so eine Figur auch optisch von den anderen abheben? Wie soll man dem Publikum vermitteln, dass er der wichtigste, mächtigste und weiseste Zauberer in Hogwarts ist? J.K Rowling, Chris Columbus, Alfonso Cuarón, Mike Newell und David Yates wussten die Antwort genau. Kurzerhand wurden alle anderen Figuren rasiert und Dumbledore erhielt einen Vollbart.

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