Typisch Bart, typisch Mann

Wer sich ein wenig mit den kleinen grauen Zellen in unserem Schädel auseinandersetzt, wird feststellen, dass die Kollegen relativ faul sind. Da gibt es nämlich zwei Betriebsmodi, in denen unser Gehirn arbeitet. Der Normalbetrieb ist eher ressourcenschonend angelegt und funktioniert so, dass nur ein kleiner Teil von dem, was die Welt da draußen tut, verarbeitet wird. Mit einer ordentlichen Portion Arroganz ergänzt unser Denkapparat kurzerhand, was er für richtig hält. Heraus kommen so Dinge, wie Autofahrten, an die man sich nicht erinnern kann, falsche, weil vorschnelle Entscheidungen und Pareidolie. Das ist die Eigenschaft, dass wir Dinge wiedererkennen, auch wenn sie nicht da sind. Das macht Freude, wenn man die Wolken beobachtet und unterschiedliche Gegenstände erkennt, macht uns im Alltag aber eher oberflächlich. Eine Ausprägung dieser Oberflächlichkeit ist das Einordnen von Menschen in Schubladen. Unser Hirn verfährt nach dem Schema „Kennst Du einen, kennst Du alle“ und schwups sorgt eine vergleichbare Nase, oder eine wiedererkannte Geste, die ein Fremder macht, für die Klassifizierung seiner Person. Sieht einer aus, wie der Nachbar, der und nie grüßt, wird er als unhöflich abgestempelt. Was mit Einzelpersonen schon nicht klappt, wird auch nicht besser, wenn man es auf größere Gruppen ausweitet.

Männerschublade

Eine von den Gruppen, die immer wieder in Schubladen landet, sind wir Männer. Schön, dass wir uns alle dort treffen, aber viel mehr Positives kann man dem nicht abgewinnen. Tatsächlich reicht es, wenn einer, oder eine Handvoll Männer sich daneben benehmen und die Schublade bekommt schon wieder ein neues Schildchen. Aus der Schublade herauszukommen, wenn man schon mal drinnen ist, ist schwer. Gut, ich möchte der Natur und dem Gehirn jetzt auch keinen großen Vorwurf machen. Das hat schon alles auch Sinn. Was die kleinen grauen Zellen an Energie nicht verbrauchen, können wir für andere wichtige Aufgaben verwenden, oder wir lagern es in der Körpermitte für schlechte Zeiten ein. Unseren Vorfahren hat das sicherlich Vorteile gebracht. Auch das schnelle Beurteilen einer Situation, das Einteilen in Freund und Feind und das Ergänzen unserer Erfahrungen hat seine Daseinsberechtigung. Aber zum Glück ist das schnelle Denken nicht der einzige Betriebsmodus, den unser Hirn kennt. Es gibt da tatsächlich noch mindestens einen zweiten Modus.

Langsam denken

Wenn es denn will, kann unser Gehirn sich auch die Zeit nehmen, etwas ordentlich durchzudenken. Das schafft es natürlich nicht den ganzen Tag. Wir sind also eine Weile bei der Sache und zwischendurch schalten wir auch mal ab. Im Meeting ist das durchaus üblich. Da schweift man mal ein wenig ab und betrachtet interessiert die Wand gegenüber, damit der Denkapparat sich erholt. Ist man für das Meeting verantwortlich und muss eine Diskussion leiten, etwa präsentieren, oder alle Fragen beantworten, dann geht das nicht. In so einer Situation merkt man dann schnell, wie anstrengend es für uns ist, ständig konzentriert zu sein. Normalerweise kommen wir im Energiesparbetrieb aber gut durchs Leben. Und nachdem das alle so handhaben, landen wir auch immer wieder in Schubladen. Typisch Mann und typisch Bart sind dann die Klischees, denen wir uns hingeben müssen. Die Situation bessert sich, aber es gibt sie noch. Die Vorurteile gegen Männer und leider auch gegen den Bart.

Vollbart im Laufe der Zeit

Der Vollbart hatte seine Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg. Er war in jedem männlichen Gesicht zu finden und beschäftigte die Barbiere, die in der Zeit auch alle Hände voll zu tun hatten. Wer in der Zeit aufwuchs, lernte Männer nur mit Bärten kennen. Nette Kerle, Respektspersonen und gepflegte Herren trugen Bart. Man assoziierte also den Vollbart mit Männlichkeit und alle waren damit zufrieden. Zumindest bis zu jenem schwarzen Tag im Jahre 1904, in dem King Camp Gillette das Patent für den Rasierhobel einbrachte. Das und der Erste Weltkrieg lösten eine Ära aus, in der die Männern gezwungen waren, sich Tag für Tag zu rasieren. Eingewachsene Barthaare, Rasurbrand, Hautrötungen und Kälteempfindlichkeit sind ja noch zu ertragen. Was wirklich schmerzt ist, dass die Männer in dieser Zeit auf ihr gutes Aussehen verzichten mussten. Glattrasiert waren sie auf den verschwommenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen nicht von ihren kleinen Kindern zu unterscheiden. Hätte die Frau nicht ein auffälliges Kleid getragen, wäre wohl auf manchem Hochzeitsbild aus der Zeit die Rollenverteilung nicht klar hervorgegangen.

Ur-ur-ur-Großmutter

Es waren also die Mütter der Großmütter unserer Großmütter, die letzten Frauen, die noch mit einem korrekten männlichen Idealbild aufgewachsen sind. Danach ging es barttechnisch bergab. Auch wenn es heute viele bärtige Männer gibt und wir langsam aber sicher den Rasierapparat an den Haken hängen und unserem Barthaar den Raum geben, den es braucht, gibt es gute Chancen, dass die verpartnerungsfähigen Damen ihre Kindheit mit einer rasierten männliche Bezugsperson verbringen mussten. Konkret haben die Frauen der Begierde tendenziell wenig positive Assoziationen mit Bärten. Ihre Mütter erlebten die wilden 60er Jahre, in denen es zwar Bärte gab, aber kaum positive Assoziationen damit. Außer man stand auf freie Liebe und psychoaktive Substanzen. Abgesehen war der Vollbart ein Attribut derer, die sich aufgegeben hatten. Wie immer hat da auch Hollywood das Seine dazu beigetragen und mehr als ein Moustache von Burt Reynolds, oder Tom Selleck war nicht drin. Also sehen wir uns mit gemischten Gefühlen konfrontiert, wenn uns jemand unseres Alters begegnet.

Typisch Bart

Schnell ergibt ein Vorurteil das andere und man steckt uns in eine Schublade, in die wir nicht gehören. Aber wie eingangs erwähnt, greift der graue Schleim im Kopf gerne auf das zurück, was schon einmal funktioniert hat. Beim zweiten Mal wird keine Energie mehr mit darüber Nachdenken verschwendet. Stattdessen bliebt es beim zweiten bis zweitausendsten Mal dabei, was das Denken beim ersten Mal ergeben hat. Jetzt kommt es darauf an, wer der erste Bartträger war, den das Gegenüber getroffen hat. War es ein ungepflegter Penner mit fettigem Haar, oder ein zerzauster Alt-Hippie mit langem dünnen Bart, dann darf man neben den Herrschaften in der Schublade Platz nehmen. Zum Glück erleben wir heute aber einen Wandel. Durch die fortschreitende Verbreitung des Vollbarts wird es immer wahrscheinlicher, dass der Mensch, dem wir begegnen, positive Assoziationen hat und uns in die Schublade mit den netten Kerlen steckt. Vielleicht gab es auch am Vater des Gegenübers einen gepflegten Vollbart. Das macht uns natürlich noch sympathischer. In welcher Schublade man landet, wie uns also andere Menschen kategorisieren, ist kaum zu beeinflussen. Sind wir nicht der Erste, der dem anderen Menschen begegnet, gibt es Erwartungshaltungen und Erfahrungen, die dazu führen, dass man uns einschätzt und beurteilt, ohne uns zu kennen.

Machtlos?

Das mit dem Schubladendenken ist ein echtes Problem. Nicht nur, dass es für jede Form der Ausgrenzung von Personengruppen verantwortlich ist, es macht auch ein unbeschwertes Miteinander schwieriger. Dabei ist doch jeder Mann irgendwie anders als die anderen. Nicht jeder von uns liest sich im Bau & Handwerker Blog ein, bevor er in den Blaumann steigt und mal eben mit bloßen Händen ein Haus baut. Auch beschäftigt sich nicht jede Frau mit Schmink-Tutorials und trinkt Prosecco. Ja, ich weiß, dass es solche Männer gibt und auch solche Frauen soll es geben. Aber es sind eben nicht alle und ob einer, oder eine, bestimmte Eigenschaften hat, oder nicht, sollte man nicht glauben zu wissen, sondern wissen, dass man nur glaubt es zu wissen. Solange man sich auf das verlässt, was die träge graue Masse im Energiesparmodus entscheidet, kann man daran aber nichts ändern. Dabei gibt es doch Techniken, um das zu ändern. So ganz machtlos ist man also nicht.

Denken verlangsamen

Im Normalbetrieb arbeitet das Gehirn sehr effizient und spart es sich, Situationen zu beurteilen. Lernt man jemanden kennen und will verhindern, dass man nach seinem Äußeren beurteilt wird, dann muss man das Gegenüber zwingen, anders zu denken. Konkret heißt das, dass man auf jemanden zugehen, ihm die Hand geben und sich vorstellen kann, ohne dass der Andere uns wahrgenommen hat. Das muss man ändern. Es geht darum, zu erstaunen, oder eigentlich etwas Unerwartetes zu tun. Schafft man es, etwas zu machen, das die andere Person nicht vorhergesehen hat und bleibt dabei aber authentisch, dann ist es wahrscheinlich, dass das Gehirn umschaltet. Bis dahin war ihm alles klar. Träge im Hirnwasser plätschernd hat es sich nicht die Mühe gemacht, mehr, als eine Handvoll Eigenschaften von uns wahrzunehmen, sie mit der eigenen Datenbank abzugleichen und uns einzuordnen. Passiert auf einmal etwas, mit dem es nicht gerechnet hat, dann fährt es die Systeme hoch. Das ist es, das man erreichen möchte. Man will nicht anhand der Erfahrungen des Menschen beurteilt werden, sondern so wahrgenommen werden, wie man ist.

Authentizität

Nur muss man dabei aufpassen, es nicht zu übertreiben. Auf einem Bein zu hüpfen, sich hinter einer Ecke zu verstecken und laut Kuckuck zu rufen, oder ein Kniefall vor dem Handschlag, sind schlechte Ideen. Damit landet man schnell wieder in einer anderen Schublade, in die man noch weniger wollte, als in die mit den bärtigen Männern. Eine gute Möglichkeit kann man – und man kann nicht viel von ihm lernen, bzw. sollte nicht all Zuviel von dem, was er tut nachmachen – von Donald J. Trump lernen. Ja, der satt gebräunte Mittsiebziger mit der Föhnfrisur hat einen Trick, der beim ersten Mal tatsächlich jeden überrascht. Nicht nur, dass sich wohl jeder fragt, ob die Frise echt ist und darauf wartet, dass sie abhebt, er hat auch einen denkwürdigen Handschlag. Er schnappt sich Deine wehrlose Pfote und macht damit, was er will. Er steckt sie sich fast unter den Arm, schüttelt sie lustig, führt sie ans Herz, streichelt sie mit der anderen Hand und lässt sie einfach nicht los. Vergiss die Frisur, aber den Handschlag könnte man sich vom Donald aus Amerika durchaus abschauen. Aber vielleicht fällt Dir ja etwas besseres ein. Es geht eben nur darum, ein wenig unkonventionell zu sein, um aufzufallen.

Opfer Täter

Aber es liegt in der Natur des Kennenlernens, dass zwei Personen daran beteiligt sind. Du wirst bei so einer Gelegenheit also nicht nur kennengelernt, sondern Du lernst auch kennen. Das bedeutet, dass auch Dein Hirn aus dem Stand-by-Modus geholt werden muss, damit das korrekt abläuft. Sonst bewertest Du Äußerlichkeiten und gleichst unwichtige Kleinigkeiten mit Deiner Datenbank ab, ohne dass Du das willst. Sei also auch nicht oberflächlich, sondern nimm Dir die Zeit, Dich auf das Gegenüber einzulassen. Sei bewußt bei der Sache und lass nicht zu, dass der Autopilot übernimmt. Vorurteile sind eine schlimme Sache. Es kann sein, dass es gut ist, wenn man sich merkt, dass ein Löwe beißt und auch dem zweiten Löwen nicht traut, aber nur weil wir mal eine rothaarige Lehrerin hatten, die uns nicht mochte, sollten wir nicht allen Rothaarigen mißtrauen. Es sind die kleine Dinge, auf die unser Unterbewußtsein achtet. Werde Dir bewußt, was gerade passiert und mach dem Gehirn einen Strich durch die Rechnung. Damit es in der Männer-mit-Bart-Schublade aber gemütlicher wird, hab ich noch eine Bitte an Dich. Benimm Dich ordentlich! Du als Bartträger bis so etwas, wie ein Markenbotschafter. Sorg dafür, dass andere Menschen Dich bewundern und Dein Verhalten schätzen. Damit tust Du allen Bartträgern etwas Gutes. Danke!

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