Kann man in den Vollbart murmeln?

Es ist eine Frage, die die Menschheit beschäftigt, seit der erste Homo noch-nicht-sapiens, das bartfähige Alter erreicht hat. Gegenüber dem modernen Menschen hatte er einen entscheidenden Vorteil: Er lebte vor dem 20. Jahrhundert. Nachdem Kollege King Champ Gilette 1904 sein Patent für den Rasierhobel angemeldet hatte, blieb kein Barthaar mehr da, wo es vorher war. Jeder konnte sich daheim in bester DIY-Manier, den Vollbart entfernen. Erst jetzt, 100 Jahre später, erholen sich die Männer wieder von diesem einschneidenden Erlebnis. Probleme, die der Homo habilis noch nicht kannte. Ihm spross der Bart, so wie es sein sollte und kaum hatte die Menschheit die erste Pubertät abgeschlossen, erblickte auch schon der erste Vollbart das Licht der Welt. Allerdings hat es nicht nur Nachteile, wenn man die Möglichkeit hat, Barthaar einzukürzen. Speziell die Oberlippe hat einen Hang dazu, Barthaare zu produzieren, die schlichtweg länger sind, als die Oberlippe hoch. Dank der Schwerkraft und der Weisheit der Natur, die die Haare des Moustache so angesetzt hat, dass sie nicht in die Nasenlöcher wachsen, sondern nach unten, überwuchert der mächtige Schnauzer schon bald den Mund. Die Luke, die für den Einwurf von Nahrung und den Auswurf von kommunikativen Geräuschen gedacht ist. Schon ergab sich die Frage, die uns bis heute beschäftigt: Kann man in den Vollbart murmeln?

Dämpfer

Man mag es Murmeln, Nuscheln, Brummeln, oder Brummen nennen, was angeblich hinter dem Bart passiert. Das Ergebnis ist immer dasselbe. Menschen, die vor dem Bartträger stehen, sehen sich außer Stande, das Gesagte inhaltlich zu erfassen. Ob das den fehlenden intellektuellen Fähigkeiten des Lauschenden zuzuschreiben ist, sei einmal dahingestellt. Nehmen wir einmal wohlwollend an, dass wir eine vernunftbegabte Person ansprechen, oder uns wenigstens, einer unvernünftigen Person, mit einfachen Worten intellektuell annähern. Passiert es dann, dass der Adressat unserer Aussage uns fragend anstarrt, dann wird schnell das geflügelte Wort strapaziert. Man unterstellt dem Bartträger, in seinen Bart gemurmelt zu haben. Die akustischen Dämmeigenschaften, die man dem Barthaar hier zuspricht, sind aber zu viel der Ehre. Zwar dämpft der Bart mit Sicherheit die Schallwellen, die unseren Mund verlassen, ob das aber die Verständlichkeit tatsächlich beeinträchtigt, sollten wir uns aber einmal genauer ansehen.

Physik

Fasern, und nichts anderes sind Barthaare, haben das Potenzial Schall zu dämpfen. Allerdings müssen die Fasern ein paar Eigenschaften haben, um im Schalldämmen auch effizient zu sein. So müssen die schalldämmenden Fasern porös sein. Sie müssen in unterschiedlichen Winkeln angeordnet sein und in mehreren Schichten mit unterschiedlicher Stärke. So kann man tatsächlich einen schallschluckenden Vorhang entwerfen. Außerdem haben alle Fasern, also auch Barthaare, eine Eigenfrequenz. Liegt diese Eigenfrequenz in der Frequenzspanne der menschlichen Stimme, dann kann das effizient den Schall dämpfen. Allerdings gibt es da ein Problem: Geht man davon aus, dass das Barthaar hauptsächlich aus Keratin besteht und damit eine Dichte von etwa 1.300 kg / m³ hat und vereinfachen das Barthaar auf einen zylindrischen Stab dann müsste dieser Stab, um die Eigenfrequenz einer tiefen männlichen Stimme, also etwa 85 Hz zu haben, 8,5 Meter lang sein. So lange wird das Barthaar aber nicht.

Biologisches Dämmmaterial

Wäre der Bart ein so herausragender Dämmstoff, dann würden die Kammern, in denen Youtuber im Halbdunkel ihre Videos machen, nicht mit Schaumstoffnoppen ausgekleidet, sondern der Content Creator würde im Kreis seiner 24 bärtigen Freunde seine Follower erfreuen. Bartträger wären gesuchte Leute und könnten sich mit Lauschabwehr ordentlich etwas dazuverdienen. Allerdings hat mich dazu noch kein Headhunter angerufen. Sollte einer von Euch dazu mehr wissen, dann schreibt mir das in die Kommentare. Ein paar zusätzliche Standbeine kann man immer brauchen. Also einigen wir uns darauf, dass der Vollbart grundsätzlich keine erstaunlichen akustischen Eigenschaften mitbringt. Es bleiben also drei Möglichkeiten dafür, dass Bartträger schlecht verstanden werden. Die erste und durchaus plausible Möglichkeit ist der Faktor Ablenkung. Um einem Gespräch inhaltlich zu folgen, muss man aufmerksam sein. Das bedeutet, dass kein anderer Sinn sich in den Vordergrund drängt und der Hörsinn die volle Bandbreite zum Gehirn bekommt.

Hier sind meine Augen

Stellen wir uns einmal vor, dass es ein heißer Tag ist und wir mit einer jungen Frau ein paar Worte wechseln. Aufgrund der Hitze hat sie auf einen Großteil der überwiegend stabilisierenden Textilschichten verzichtet. Sie steht 2 Meter vor uns und erklärt uns die Welt. Dabei gestikuliert sie etwas und setzt dabei Teile in Bewegung, die mangels textiler Stabilisierung und einer Gewebezusammensetzung mit Anteilen aus Fett- und Drüsengewebe einen Hang zur Schwingung haben. Zwei dieser Teile schwingen also frei und zeichnen sich erstaunlich deutlich unter der einzigen verbliebenen dünnen Stoffschicht ab. Was auch immer die Dame zum Besten gibt, es wird maximal zu 3 Prozent im männlichen Gehirn eintreffen. Das Frauen in ihre Oberweite murmeln würden, behauptet allerdings niemand. Zu Unrecht, wie ich meine, denn das Thema könnte dasselbe sein, wie beim Bart. Beim Sprechen bewegen wir Lippen und Kinn und schon gerät der Vollbart in eine harmonische Bewegung. Das kann bei Zuhörern als Ablenkung reichen und bewundernde Augen fixieren das sanfte Schwingen des gepflegten Barthaars, während der männliche Duft des Bartöls die Nase des Gegenübers umschmeichelt. Man könnte meinen, dass die Urheberin der Behauptung, Männer würden in den Bart murmeln, weiblich war. Schließlich lässt eine Frau sich nicht so leicht von schwingenden Brüsten und tiefen Ausschnitten ablenken. Die Faszination für den Bart ist genderneutral und betrifft weibliche, wie auch männliche Zuhörer gleichermaßen.

Die Ruhe selbst

Die zweite Möglichkeit für das, sich beharrlich haltende Gerücht, Männer würden in den Bart murmeln, könnte eine Eigenschaft sein, die Bartträger auszeichnet. Wer einen langen Vollbart trägt, ist stilbewusst und selbstsicher. Gleichzeitig bringt man aber auch Zielstrebigkeit und Geduld mit. Beim Vollbart lässt sich nichts erzwingen. Bartträger sind also meist ausgeglichene und ruhige Menschen. Die Hektik des Alltags lassen sie hinter sich und widmen sich stattdessen in aller Ruhe der Bartpflege. Gelebte Entschleunigung. Folge dieser soliden Lebenseinstellung ist es aber auch, dass man nicht hektisch spricht. Man spricht ruhig und die Stimmlage ist vornehmlich tief. Bartträger sind keine Selbstdarsteller, die es nötig haben, die gesammelte U-Bahn am Telefonat teilhaben zu lassen. Sie sprechen das Nötigste ruhig und prägnant, ohne Hektik und ohne die Stimme zu heben. Es kann natürlich sein, dass diese Korrelation zwischen ruhigen Männern und Vollbärten, die Gerüchteküche angeheizt hat. Damit müsste man leben lernen, denn es wird wohl kein Bartträger zum Schreihals werden, nur weil ihn jemand nicht richtig versteht!

Die dritte und letzte Möglichkeit

Es ist reine Formsache, also erwähne ich es hier auch. Allerdings bin ich doch sehr sicher, dass diese Möglichkeit auf Dich nicht zutreffen kann. Du liest auf meinem Blog, also weißt Du, wie man den Vollbart pflegt und bist auch bereit, die notwendige Zeit und Ressourcen aufzubringen. Dein Bart ist also gepflegt, das Barthaar ist sauber getrimmt, es liegt ordentlich nebeneinander und ist, dank der Versorgung mit feinstem Bartöl, glatt und seidig glänzend. Wäre dem aber nicht so, würden Deine Barthaare eine sehr raue Oberfläche haben und wirr durcheinander stehen, dann könnte das erklären, dass Dein Bart dämmende Eigenschaften hat. Worte, die Du sprichst, würden dann vielleicht deutlich leiser in der Umwelt ankommen, als Du denkst. Die Maßnahmen dagegen sind einfach. Liegt es im Bereich des Möglichen, dass Du Dein Barthaar vernachlässigt hast, dann sollten Aussagen, wie „Wie bitte?“, oder „Was?“, oder ein einfaches „Häääh?“ ein Wink mit dem Zaunpfahl sein. Lass die Bartpflege nicht schleifen, sondern sorg dafür, dass Du Deinen Bart von der besten Seite zeigst.

In den Bart murmeln

In den Bart Murmeln, Brummen und Brummeln ist negativer besetzt, als es eigentlich sein müsste. In unserer hektischen und lauten Welt ist es eine Wohltat, einmal etwas Leises und Beruhigendes zu hören. Jeder Mensch versucht sich in den Mittelpunkt zu stellen und bestmöglich darzustellen. Dabei denken viele, dass der Wahrheitsgehalt und das Gewicht der eigenen Aussagen exponentiell mit der Lautstärke steigen. Das führt dazu, dass besonders die Dinge, die inhaltlich nicht überzeugen, in einer schrillen und lauten Art und Weise vorgetragen werden. Hingegen sind es die leisen Töne, die wichtig sind und uns Halt geben. Gelingt es uns, uns auf diese kaum wahrnehmbaren Sinneseindrücke zu konzentrieren, dann ist das ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Achtsamkeit ist heute in aller Munde. Gleichzeitig halten sich Phrasen, wie „In den Bart murmeln“ beharrlich. Dabei ist das, was der Phrase zugrunde liegt, eine ruhig vorgetragene tiefe Weisheit. Ein Stück Kommunikation, das es wert ist, sich darauf zu konzentrieren. Der Bartträger, der es nicht nötig hat, sich mit Lautstärke Gehör zu verschaffen, fordert mit ruhigen Worten Respekt und Stille ein. Indem er leise spricht, zwingt er die Welt dazu, kurz den Atem anzuhalten.

Achtsamkeit

Wenn Du zu den Männern zählst, denen man vorwirft, zu leise zu sprechen, oder sogar behauptet, Du würdest in Deinen Bart murmeln, dann kann ich Dir an dieser Stelle nur gratulieren. Du machst alles richtig! Es sind die Zuhörer, bei denen der Ball liegt. Hier mangelt es an fokussierter Aufmerksamkeit im Zuhören. Es mag ein naiver Geist sein, der sich leicht von anderen Sinnen ablenken lässt, oder eine, in unserer Zeit leider weit verbreitete Überforderung, die sich ankündigt. Versteht man Dich nicht, dann solltest Du nicht etwa die Stimme erheben und das Gesagte lautstark wiederholen. Tu etwas für den armen Zuhörer. Weise ihn, oder sie darauf hin, dass es an Aufmerksamkeit fehlt. Auch einen guten HNO-Arzt kann man in so einer Situation ruhig empfehlen. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle etwas mehr in unseren Bart murmeln würden. Denk darüber nach!

Ein Kommentar

  1. Konstantin

    Diesmal ein sehr philosophischer Bart-Beitrag. Leider ist fehlende Aufmerksamkeit, Hektik und ständige Zeitknappheit eine echte Plage geworden. Wir hören einander immer weniger bis gar nicht mehr zu. Wenn Kommunikation so läuft, hat am Ende keiner mehr etwas zu sagen. Schade!

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